IGB: Krieg in der Ukraine hat vielfältige Auswirkungen auf den Wassersektor

Trinkwasserversorgung von Millionen von Zivilist*innen beeinträchtigt

Der anhaltende Angriffskrieg auf die Ukraine hat auch vielfältige Auswirkungen auf den Wassersektor des Landes. Das zeigt eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), die in der Fachzeitschrift Nature Sustainabilty veröffentlicht wurde. Neben den verheerenden direkten Kriegsfolgen habe die Zerstörung der Wasserinfrastruktur auch sehr langfristige Folgen und Risiken für die Bevölkerung, die Umwelt und die weltweite Ernährungssicherheit, teilte das IGB Anfang März mit.

„In der Ukraine finden militärische Aktionen in einer Region statt, in der es einen hoch entwickelten und industrialisierten Wassersektor gibt. Dies ist eine besondere Situation im Vergleich zu anderen militärischen Konflikten weltweit, die den Wassersektor betreffen", sagte Oleksandra Shumilova, IGB-Forscherin und Erstautorin der Studie, die selbst aus der Ukraine stammt. Die umfangreiche kritische Wasserinfrastruktur des Landes umfasse große Mehrzweck-Stauseen, Wasserkraftwerke, Kühlanlagen für Kernkraftwerke, Wasserreservoirs für Industrie und Bergbau sowie ein ausgedehntes Versorgungsnetz für die landwirtschaftliche Bewässerung und die städtische Wasserversorgung.

Breites Spektrum an Schäden

Das internationale Team der Studie – mit Forschenden aus der Ukraine, Deutschland, Belgien und den USA – sammelte und analysierte nach eigenen Angaben Informationen über die Anzahl, Standorte, Art und Folgen der Auswirkungen militärischer Aktionen auf den Wassersektor in den ersten drei Monaten des Konflikts. Dabei glichen die Forschenden Daten aus Regierungs- und Medienquellen ukrainischer, russischer und inter-nationaler Herkunft ab, die im Zeitraum von Mitte Februar bis Mitte September 2022 verfügbar waren.

Die Ergebnisse zeigten ein breites Spektrum an Schäden, darunter die Überflutung großer Ge-biete durch Dammbrüche, die Verschmutzung durch ungeklärte Abwässer, versenkte Munition und den Anstieg des Grubenwasserspiegels sowie eine erhebliche Verringerung der Menge und Qualität von Trinkwasser und Wasser für die Landwirtschaft. Einige Vorfälle führten zwar nicht zu direkten Schäden, hätten aber potentielle Auswirkungen, wie beispielsweise Raketen, die Dämme von Stauseen und Kühlanlagen von Kernkraftwerken überfliegen.

Knappe Trinkwasserversorgung für Millionen Menschen

Seit Beginn des Krieges ist laut IGB die Trinkwasserversorgung von Millionen von Zivi-list*innen durch Militäraktionen beeinträchtigt worden, und die Zahl der Betroffenen nimmt stetig zu. Wie die Studie zeige, sei dies nicht nur auf direkte Angriffe auf Wasserleitungen, Kanäle, Pumpstationen oder Wasseraufbereitungsanlagen zurückzuführen, sondern auch auf die starke Abhängigkeit der Wasserinfrastruktur von der Stromversorgung, die unterbrochen wurde oder ganz zusammenbrach.

„Über einen Monat lang gab
es kein Leitungswasser“

„In meiner Heimatstadt Mykolajiw, die vor dem Krieg eine halbe Million Einwohner hatte, ist das Thema Wasser fast täglich in den Nachrichten. Im April 2022 wurde eine 90 Kilometer lange Transferleitung beschädigt, die Wasser aus dem Fluss Dnjepr lieferte. Über einen Monat lang gab es kein Leitungswasser. Später wurde das Wasser mit häufigen Unterbrechungen aus einer anderen Quelle geliefert, aber auch nach der Aufbereitung ist es nicht zum Trinken geeignet. Jeden Tag sieht man lange Schlangen von Menschen mit Plastikflaschen, die auf Wasser warten", sagte Oleksandra Shumilova.

Nach einem UN-Bericht ist die Zahl der Menschen in der Ukraine, die keinen Zugang zu ausreichend sauberem Wasser haben, zwischen April und Dezember 2022 von sechs auf 16 Millionen gestiegen. Dies habe negative Auswirkungen auf die Gesundheit und erhöhe das Risiko von Epidemien im Land.

Militäraktionen führen zu
starker Verschmutzung

Militäraktionen verschmutzen der Studie zufolge Süßwasserressourcen stark, sowohl direkt – etwa durch versenkte Munition und Kriegsgerät, als auch indirekt – etwa durch beschädigte Industrieanlagen. Bis Anfang Juni 2022 seien mehr als 25 große ukrainische Industriebetriebe beschädigt oder vollständig zerstört. Der größte Teil der Wasserinfrastruktur befindet sich in den südlichen und östlichen Teilen des Landes – Gebiete mit intensiver landwirtschaftlicher Produktion und großen Industrieanlagen der Metallverarbeitung, des Bergbaus und der chemischen Produktion. „Diese Regionen sind in diesem Krieg besonders gefährdet und stehen exemplarisch dafür, wie wichtig es ist, die Wassersysteme vor Verschmutzung und Gewalt zu schützen“, sagte Peter Gleick, Mitbegründer und Senior Fellow des Pacific Institute for Studies in Development, Environment, and Security in Oakland, USA, einer der Autoren der Studie, der auch die öffentlich zugängliche Datenbank des Instituts zur Chronologie globaler Wasserkonflikte betreut.

Schwere Umweltverschmutzung
bedroht Europas größtes landwirtschaftliches Bewässerungssystem

Im Süden der Ukraine, der Kornkammer Europas, liegt der Kakhovka-Stausee mit seinem Bewässerungssystem für die großflächige landwirtschaftliche Produktion, das größte Bewässerungskanalsystem Europas mit einer Gesamtlänge von über 1.600 Kilometern. Das weit verzweigte Netz der Bewässerungskanäle ist auch zu einem Entsorgungsplatz für militärische Objekte geworden, heißt es in der Studie. Der Zerfall von Kriegsgerät und die Zersetzung von Munition unter Wasser führten zur Freisetzung von Schwermetallen und giftigen Sprengstoffen, deren Auswirkungen über Jahrzehnte andauern könnten.

Überflutete Gruben verunreinigen Trinkwasserquellen und
Oberflächengewässer

Im Osten des Landes befinden sich große Industrieanlagen der Metallverarbeitung, des Bergbaus und der chemischen Produktion, die den Angaben zufolge ebenfalls betroffen sind. Eine besondere Gefahr stelle hier der Anstieg von kontaminiertem Grubenwasser dar. Die Region Donbass verfügt über ein ausgedehntes Netz von 220 unterirdischen Bergwerken, aus denen das Grubenwasser ständig abgepumpt werden muss, damit es nicht ansteigt und in geologisch verbundene Bergwerke überläuft. Mehrere Stromausfälle und direkte Schäden hätten diesen Prozess zum Erliegen gebracht. Allein in den ersten drei Monaten des Konflikts seien sechs Bergwerke vollständig und zwei zeitweise überflutet worden. Grubenwässer mit hohen Sulfat-, Chlorid- und Schwermetallkonzentrationen könnten in Grund- und Oberflächengewässer gelangen.

Besorgniserregend seien die durch Angriffe verursachten baulichen Schäden an den großen Stauseen entlang des Dnjepr, die neben der Landwirtschaft auch für die Energieerzeugung und Kühlung von Kernkraftwerken wichtig sind. Ein Dammbruch am Dnjepr berge zudem die Gefahr einer sekundären radioaktiven Kontamination durch unkontrollierte Freisetzung von radioaktivem Material.

„Jetzt Maßnahmen zur
Wiederherstellung ergreifen“

„Die Einzugsgebiete von Süßwasser-Ökosystemen sind grenzüberschreitend und die internationale Gemeinschaft, einschließlich der Forschung, sollte jetzt dringend Maßnahmen ergreifen, um den Wassersektor in der Ukraine wiederherzustellen", sagte Klement Tockner, einer der Autoren der Studie und Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.                 

Originalpublikation: Impact of the Russia–Ukraine armed conflict on water resources and water infrastructure. doi.org/10.1038/s41893-023-01068-x 

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