Belastete Produktionsabwässer Grund für die Entstehung von Antibiotikaresistenzen

„Das Problem erfordert politische Maßnahmen auf europäischer Ebene“

Belastete Produktionsabwässer sind ein wichtiger Grund für die Entstehung von Antibiotikaresistenzen, neben dem Risiko durch den massiven Einsatz von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin. Das erklärte Malgorzata Debiak, Leiterin des Fachgebiets Arzneimittel am Umweltbundesamt (UBA), bei der Vorstellung einer Pilotstudie zur ökologischen Nachhaltigkeit in der Antibiotikaversorgung. Die Ergebnisse bestätigten eine enorme Belastung der Produktionsabwässer und umliegender Gewässer mit antibiotischen Wirkstoffen, wie die an der Studie beteiligte AOK Baden-Württemberg mitteilte. Das Problem reiche dabei weit über die Möglichkeiten der Gestaltung von Arzneimittelrabattverträgen hinaus und erfordere politische Maßnahmen auf europäischer Ebene, erklärte Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender AOK Baden-Württemberg.

Das Umweltbundesamt hat die Studie zur ökologischen Nachhaltigkeit in der Antibiotikaversorgung wissenschaftlich begleitet, die von der AOK-Gemeinschaft seit dem Jahr 2020 unter der Federführung der AOK Baden-Württemberg gemeinsam mit dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wasserforschung (IWW) durchgeführt wurde.

„Wenn sich multiresistente Keime im und über belastete Produktionsabwässer ausbreiten können, ist die Wirksamkeit von Antibiotika stark gefährdet“, sagte Debiak. Das hätte massive gesundheitliche, gesellschaftliche und finanzielle Auswirkungen. „Wir müssen weltweit die Produktionsbedingungen im Blick haben, denn antibiotikaresistente Keime können sich in kurzer Zeit global ausbreiten und lassen sich nicht von Landesgrenzen aufhalten.“

Massive Überschreitungen
der Schwellenwerte im
Produktionsabwasser

Den Angaben zufolge wurden an zehn Standorten in Europa und in Indien Messungen durchgeführt und Wasserproben auf die im Abwasser enthaltenen Antibiotika-Konzentrationen geprüft. Zudem wurden Gewässerproben der durch die Produktionsstätten beeinflussten Umwelt auf Antibiotika untersucht. An 40 Prozent der untersuchten Produktionsstätten seien zum Teil massive Überschreitungen der vertraglich zugesicherten maximalen Wirkstoffkonzentrationen im Produktionsabwasser oder in der angrenzenden Umwelt festgestellt worden, beschreibt Tim aus der Beek, Bereichsleiter Wasserressourcen-Management am IWW, die Messergebnisse. Die höchste Überschreitung innerhalb der Produktionsanlagen sei beim Antibiotikum Ciprofloxacin festgestellt worden. „Bei Ciprofloxacin haben wir eine Abwasserkonzentration, die den vertraglich vereinbarten Schwellenwert um 11.000 Prozent überschreitet. Auch andere Schwellenwertüberschreitungen lagen in Größenordnungen von mehreren tausend Prozent."

„Gewässerkonzentration von
Azithromycin übersteigt Schwellenwert um mindestens 1.600.000 Prozent“

Besonders gravierend sei das Problem in der durch Produktionsanlagen beeinflussten Umwelt aufgetreten. Die gefundenen Konzentrationen in der Umwelt ließen schädliche Effekte im Ökosystem und vermehrte Resistenzbildungen erwarten, so der Wissenschaftler. Die höchste Überschreitung sei einem Gewässer in Indien entnommen worden. Die gemessene Gewässerkonzentration des Antibiotikums Azithromycin übersteige den ökotoxikologisch relevanten Schwellenwert um mindestens 1.600.000 Prozent. Das Problem trete allerdings nicht nur in Indien auf, so aus der Beek: „Von den beprobten Gewässern entstammt die Umweltprobe mit den meisten gemessenen Antibiotikafunden einem europäischen Bach.“

Die Pilotstudie zeige gleichzeitig aber auch positive Effekte. „Durch unseren intensiven Dialog vor Ort und den direkten Zugang zu den Produktionsanlagen konnten wir bei den Wirkstoffherstellern das Wissen über die umweltkritischen sowie gesundheitsgefährdenden Auswirkungen der Produktion nachweislich erweitern“, so der Wissenschaftler. Die Sensibilisierung bewirke bereits lokale Verbesserungen im Umgang mit Antibiotika und den Produktionsabwässern. Mit der Vergrößerung der Abwasseraufbereitung und der Optimierung der Lagerung bei einzelnen Produktionsstätten seien sogar nachhaltige Veränderungen durch die pharmazeutischen Unternehmen angestoßen worden.

Änderungen im
EU-Arzneimittelrecht notwendig

Nach Ansicht der Projektpartner benötigt es Änderungen im EU-Arzneimittelrecht, um das Problem der antimikrobiellen Resistenzen bei der Wurzel zu packen. Notwendig seien verbindliche Umweltkriterien für die Zulassung und laufende Produktion ausgewählter Arzneimittel, insbesondere Antibiotika, sowie einheitliche Kontrollsysteme zu deren Einhaltung.   

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