EUWID-Interview: „Die Beschäftigten sind die wichtigste Infrastruktur der Daseinsvorsorge“

Viele Beschäftigte in der Ver- und Entsorgung identifizieren sich mit ihrer Arbeit, würden aber nicht für eine Tätigkeit im eigenen Betrieb werben. Sie fühlen sich unzureichend geschult, strukturell überlastet sowie gesundheitlich angegriffen oder haben finanzielle Sorgen. Das ist das zentrale Ergebnis der bundesweiten Umfrage „Gute Arbeit in der Ver- und Entsorgung“ der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zu Arbeitsbedingungen in kommunalen und privaten Betrieben der Energie-, Wasser- und Abfallwirtschaft. EUWID hat mit Clivia Conrad, ver.di-Bundesfachgruppenleiterin Wasserwirtschaft und Tarifkoordinatorin ö. D. Ver- und Entsorgung, über die Umfrage gesprochen.

Frau Conrad, welches Ergebnis der Umfrage hat Sie persönlich am meisten überrascht und warum?

Die große Beteiligung hat mich positiv überrascht. 14.570 auswertbare Fragebögen – das schafft einen großen Datenschatz, der helfen wird, die Arbeitsbedingungen in der Ver- und Entsorgung gezielt zu verbessern. Sie zeigt aber auch, wie sehr der Schuh drückt. Geradezu erschreckt hat mich, wie viele Beschäftigte ihren Betrieb nicht als Arbeitgeber empfehlen würden. Das ist für die Gewinnung neuer Fachkräfte eine Katastrophe.

Beschäftigte der Wasserwirtschaft haben das Kriterium „Arbeitsintensität/widersprüchliche Anforderungen“ am negativsten bewertet. Was genau steckt dahinter? Wie sind vor allem die „widersprüchlichen Anforderungen“ zu bewerten?

Dafür können im konkreten Betrieb ganz unterschiedliche Aspekte entscheidend sein. Teilnehmende haben z. B. geschrieben, es gebe eine unklare oder widersprüchliche Unternehmensstrategie. Manchmal ist es auch eine einzelne Führungskraft, die die Widersprüchlichkeit verursacht, z. B. wenn für die Arbeit nötige Informationen zu spät oder nicht bei den richtigen Personen ankommen. Und der Klassiker: zu viele Anforderungen für die vorhandene Personaldecke. Wenn dann alles gleich wichtig ist, sind diese auch unerfüllbar. Das größte Problem: Die Kolleg*innen leiden darunter, weil ihnen ihre Arbeit wichtig ist. Es macht ihnen großen Stress, wenn sie ihre Arbeit nicht gut machen können. Sie werden krank davon. Einige werden vielleicht den Arbeitgeber wechseln. Andere halten nicht bis zur Rente durch. Und das ist ganz schlecht, auch für die ohnehin schwierige Fachkräftesituation im Betrieb.

Um die Belastungssituation durch zunehmende Arbeitsintensität zu lindern, fordert ver.di, mehr Fachpersonal einzustellen. Inwieweit ist das angesichts des gravierenden Fachkräftemangels überhaupt möglich?

Hunderte Fachkräfte fallen nicht plötzlich vom Himmel, das ist klar. Seit 2014 versucht ver.di in jeder Tarifrunde für Bund und Kommunen, tarifliche Regelungen zu verankern, die dieses Thema adressieren. Zuerst teilte die VKA mit, es gebe kein Fachkräfteproblem. Dann sagten uns die Betriebe, es sei schwieriger geworden, aber sie hätten betriebliche Mittel dagegen. Meine Erfahrungen, die Berichte der Betriebs- und Personalräte aus ihren Betrieben und das Umfrageergebnis zeigen: Das trifft nicht zu. Und zwar weder für Facharbeiter*innen noch für (Fach-)Hochschulabsolventen. Was gilt es jetzt zu tun? Fachkräfte ausbilden, Fachkräfte halten und Fachkräfte gewinnen. Dabei helfen gute Arbeitsbedingungen, die tarifvertraglich garantiert und auch für noch Außenstehende nachlesbar sind. Berufs- und Einkommenskarrieren, die Azubis und dual Studierende und Quereinsteigende schon beim Start klar vor Augen haben. Qualifizierungsangebote, zu denen alle Beschäftigten ausdrücklich eingeladen sind. Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben muss proaktiv gewährleistet werden. Und Kreativität ist gefragt. Nachwuchskräfte müssen nicht Schulabgänger*innen sein. Es gibt Mio. Lebensältere, die keine Berufsausbildung oder längere Erwerbspausen haben. Diese für Aufgaben in der Wasserwirtschaft zu interessieren und mit guter Begleitung auszubilden, darauf kommt es an. Dafür müssen aber auch die Ausbildungskräfte im Betrieb zahlenmäßig aufgestockt und passend qualifiziert werden. Das ist nicht in drei Monaten erledigt. Aber wenn die Kolleg*innen im Betrieb sehen, dass Verbesserungen tatsächlich eintreten und Onboarding mit aller Kraft betrieben wird, dann halten sie hoffentlich auch noch eine Weile durch....

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