Bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen sollte die Bevölkerung möglichst frühzeitig eingebunden und umfassend informiert werden - das empfiehlt ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Universität Potsdam in einer sozialwissenschaftlichen Studie, die im Fachmagazin Risk Analysis erschienen ist. Denn bei Widerständen in der Bevölkerung gegen Vorhaben der natürlichen Hochwasservorsorge spielen Ängste, Fluterfahrungen und ein Mangel an Information eine besondere Rolle.
Häufig stehe die ortsansässige Bevölkerung natürlichen Hochwasserschutzmaßnahmen, die das Überflutungsrisiko nachhaltig senken und das natürliche Bild der Flusslandschaft wieder herstellen könnten, skeptisch oder kritisch gegenüber. So gebe es etwa Befürchtungen, dass sie nicht so effektiv sein könnten wie der herkömmliche technische Hochwasserschutz. Die Eingriffe in die Landschaft erscheinen gravierend, und es gibt Unsicherheiten, ob sich das Landschaftsbild zum Positiven verändern wird. Auch die neue Nähe zum sich ausbreitenden Fluss kann bedrohlich wirken.
„Durch den rückverlegten Deich gelangt das Wasser bei Hochwasserständen womöglich viel näher an das eigene Haus. Dass der Fluss nun sichtbarer ist, kann insbesondere Menschen, die schon häufiger von Hochwasser betroffen waren, Angst machen - obwohl die Sicherheit durch die neuen Maßnahmen tatsächlich höher sein kann als zuvor", erklärte Prof. Christian Kuhlicke, Leiter des Departments Stadt- und Umweltsoziologie am UFZ.
Wie gut fühlen sich die
Menschen informiert?
In seiner Studie wollte das UFZ-Team nach eigenen Angaben herausfinden, wie die Menschen, die in der Nähe von Deichrückverlegungsgebieten wohnen, die natürlichen Hochwasserschutzmaßnahmen wahrnehmen, und wie gut sie sich informiert fühlen. Das Forschungsteam befragte dafür 304 Menschen aus insgesamt fünf Orten bzw. Städten in Sachsen-Anhalt an der Elbe - Lödderitz, Kühren, Aken, Rosslau, Vockerode -, in deren Nähe Maßnahmen zur Deichrückverlegung bzw. Auenrenaturierung durchgeführt wurden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickelten dafür einen Fragebogen mit 18 Fragen bzw. Aussagen, zu denen die Teilnehmenden ihre Zustimmung oder Bewertung auf einer Skala von 1 bis 7 angeben sollten. Zum Beispiel: „Wie ist Ihre Einstellung zu dem Deichrückverlegungsprojekt? Wie machtlos haben Sie sich bei dieser Überschwemmung gefühlt? Ich kann mich vollständig auf den öffentlichen Hochwasserschutz in meiner Gemeinde verlassen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das Auftreten einer schweren Überschwemmung innerhalb der nächsten fünf Jahre in Ihrer Gemeinde?“
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich sowohl Menschen, die sich mit ihrem Heimatort besonders verbunden fühlen, als auch diejenigen, die sich stark vom Hochwasser bedroht fühlen, den Maßnahmen eher ablehnend gegenüberstehen. Das war insbesondere der Fall, wenn sie bereits Fluterfahrungen gemacht hatten. Studienteilnehmende, die sich gut informiert fühlten und dem lokalen Risikomanagement vertrauten, unterstützten dagegen die naturbasierten Maßnahmen eher", erläuterte Sungju Han, Mitarbeiterin am UFZ-Department Stadt- und Umweltsoziologie und Erstautorin der Studie.
Auch bei der natürlichen
Hochwasservorsorge geht es zuerst um den Schutz der Bevölkerung
Für die Planung künftiger Hochwasserschutzprojekte bedeuteten diese Ergebnisse, dass die Ängste und Sorgen der Bevölkerung unbedingt ernstgenommen werden sollten. Durch bessere Information und Kommunikation - am besten schon ganz zu Anfang der Planungsphase - könnten viele Befürchtungen ausgeräumt werden, erklärte Kuhlicke. Insbesondere gelte es zu verdeutlichen, dass es auch bei der natürlichen Hochwasservorsorge in erster darum gehe, die Bevölkerung effektiv vor den Auswirkungen großer Hochwasserereignisse zu schützen, und zwar durch mehr Raum für den Fluss. Alles andere - die naturnähere Flusslandschaft oder die Erhöhung der biologischen Vielfalt – seien positive Nebeneffekte, jedoch nicht das primäre Ziel.
„Nimmt man die Bevölkerung nicht mit und bindet sie nicht ein, können Vorhaben zum Hochwasserschutz oftmals nur gegen große Widerstände realisiert werden, was meist mit erheblichen Zeitverlusten einhergeht“, sagte Han. „Und das kann gefährlich werden, denn man weiß nie, wann es zum nächsten Hochwasser kommt." o
Publikation: Risk Analysis (2023): A place-based risk appraisal model for exploring residents’ attitudes toward nature-based solutions to flood risks, doi.org/10.1111/risa.14118