Berechnungsregen kann nicht alleiniger Maßstab bei Kanal-Dimensionierung sein

OLG-Urteil: Örtliche Gegebenheiten des Wasserlaufs sind zu berücksichtigen

Die Dimensionierung der Kanalisation kann sich nicht ausschließlich am Berechnungsregen als alleinigem Maßstab orientieren, da so die Besonderheiten des konkreten Einzelfalls vernachlässigt werden. Eine Regenwasserkanalisation müsse zwar nicht alle denkbaren Niederschlagsmengen bewältigen, es bedürfe aber einer umfassenden Würdigung aller in Betracht kommenden Momente, heißt es in einem Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg, gegen das die Revision nicht zugelassen worden ist. 

Die klagende Grundstückseigentümerin begehrt im Wege der Amtshaftungsklage Ersatz für einen Überschwemmungsschaden, den sie auf eine unzureichende Dimensionierung und Wartung der Regenwasserabläufe durch die beklagte Gemeinde zurückführt, heißt es in dem Urteil zum Sachverhalt. Das Grundstück liegt am Tiefpunkt einer nach beiden Seiten ansteigenden, durch eine zehn Zentimeter hohe Bordsteine gefassten Stadtstraße. Der ihm gegenüber befindliche Park mit Weiher bildet einen örtlichen Tiefpunkt für ein größeres Niederschlagswasser-Einzugsgebiet. Der Straßenbereich verfügte zum Zeitpunkt des Schadensfalls über vier Straßenabläufe.

Nachdem es bereits im Jahr 2011 zu einer Überschwemmung des klägerischen Grundstücks gekommen war und die Gemeinde ihre Verantwortung für die dadurch verursachten Schäden unter Verweis auf die ungewöhnliche Stärke des Regenereignisses zurückgewiesen hatte, kam es im Juli 2017 erneut zu Überflutungen auf dem Grundstück. Die Klägerin beziffert den ihr am 22. Juli 2017 entstandenen Schaden auf 66.358,69 Euro – Schäden habe es im Keller und an den Türen und Möbeln, auf die unterspülte Grundstückspflasterung sowie auf Trocknungs- und Reinigungsarbeiten gegeben. Die Gemeinde verwies dagegen auf die ungewöhnliche Stärke des Regenereignisses, das statistisch nur alle 81 Jahre auftrete.

Landgericht: Anlage muss nicht auf außergewöhnliches Regenereignis ausgerichtet sein 

Das Landgericht Frankfurt (Oder) wies die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Niederschlagsintensität und zur Leistungsfähigkeit der Regenentwässerung ab. Zur Begründung führte es in seinem Urteil (Aktenzeichen 11 O 119/19 vom 4.3.2022) aus, die Abwassersammlung und -beseitigung obliege der Gemeinde zwar als hoheitliche Aufgabe, das Regenereignis sei aber so außergewöhnlich gewesen, dass die Anlage der Gemeinde darauf nicht habe eingerichtet sein müssen. Der Schaden wäre auch bei einer ausreichenden Dimensionierung der - allerdings tatsächlich unzureichenden - Anlage eingetreten.

Oberlandesgericht verweist
auf Amtspflicht nach
Wasser- und Straßenrecht

Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben. Die Bediensteten der Gemeinde habe die im Wasser- und im Straßenrecht begründete Amtspflicht getroffen, das auf der Straße anfallende Niederschlagswasser ordnungsgemäß zu entsorgen und so sein Übertreten auf Anrainergrundstücke zu verhindern, heißt es in dem Urteil. Das OLG betont, dass nach dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) Abwasser von den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu beseitigen ist, die nach Landesrecht hierzu verpflichtet sind – nach dem Brandenburgischen Wassergesetz sind das grundsätzlich die Gemeinden.

Für Fehler bei der Planung, der Herstellung und dem Betrieb einer Abwasserbeseitigungsanlage, die nicht nur dem allgemeinen Interesse dient, sondern auch die Anlieger und Nutzer im Rahmen des Zumutbaren vor Überschwemmungsschäden schützen soll, habe die Gemeinde nach Amtshaftungsgrundsätzen einzustehen. Auch unter dem Gesichtspunkt des Hochwasserschutzes und der Verkehrssicherung sei die Gemeinde verpflichtet, die Wohngrundstücke im Rahmen des Zumutbaren vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können.

Für den Amtshaftungsanspruch kommt es dem OLG zufolge nicht darauf an, ob der Schaden durch Austritt des Wassers aus der Kanalisation verursacht worden ist. In den Schutzbereich der Amtshaftung fielen vielmehr auch solche Schäden, die darauf beruhen, dass das Regenwasser infolge unzureichender Kapazität der Kanalisation erst gar nicht in die Rohrleitung gelangt, sondern in die anliegenden Häuser dringt.

Auch straßenrechtlich sei die Gemeinde verpflichtet, die Straße so zu planen, zu bauen und zu unterhalten, dass das auf ihr anfallende Regenwasser ordnungsgemäß entsorgt wird.

Niederschlagsentwässerung muss nicht auf „Jahrhundertereignisse“
eingerichtet sein

Diese Pflichten haben die Bediensteten der Gemeinde verletzt, heißt es in dem Urteil. Das Landgericht sei zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die Gemeinde im Rahmen der ihr obliegenden Pflichten nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen musste. Ein Entwässerungssystem müsse grundsätzlich so beschaffen sein, dass es das üblicherweise anfallende Niederschlagswasser gefahrlos bewältigen kann. Dazu zählten auch Starkregenereignisse, die statistisch allenfalls jährlich auftreten. Es sei dagegen nicht erforderlich, eine Regenwasserkanalisation einzurichten und zu unterhalten, die alle denkbaren Niederschlagsmengen bewältigen konnte.

Insbesondere sei eine Dimensionierung im Hinblick auch auf katastrophenartige Unwetter, wie sie erfahrungsgemäß nur in sehr großen Zeitabständen vorkommen, nicht erforderlich. Auf extreme Ausnahmesituationen, so genannte „Jahrhundertereignisse“, müsse eine Niederschlagsentwässerung nicht eingerichtet sein. Anderenfalls würden die Gemeinden finanziell überfordert und die Abwassergebühren zu Lasten aller Gemeindeangehörigen unmäßig und teils auch unnötig ansteigen, stellt das OLG fest.

Abstellen allein auf die statistische
Regenhäufigkeit greift zu kurz

Das Abstellen allein auf die statistische Regenhäufigkeit im Sinne eines „Berechnungsregens“ greife allerdings zu kurz und werde den rechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Es komme vielmehr darauf an, ob sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergeben habe, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Das lasse sich der Regenhäufigkeit an einem bestimmten Ort nicht allein entnehmen. Die schematische ausschließliche Orientierung am Berechnungsregen vernachlässige die Besonderheiten des konkreten Einzelfalls und könne deshalb nicht der alleinige Maßstab für die Dimensionierung der Kanalisation sein. Es bedürfe vielmehr einer umfassenden Würdigung aller in Betracht kommenden Momente.  ...

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