Urteil: Regenwasseranschluss muss nicht so dicht sein wie ein Schmutzwasseranschluss

Versickerungen aus Kleinstleckagen gefährden die Ortsentwässerung nicht

Für einen bestehenden Regenwasseranschluss ist nicht die gleiche Dichtigkeit wie für einen Schmutzwasseranschluss zu fordern. Diese Feststellung hat das Verwaltungsgericht Hannover in einem Urteil getroffen (Aktenzeichen 1 A 4444/20 vom 20.02.2023). Wenngleich die Gemeinde die Abwasseranlage und die Grundstücksanschlüsse in einem technisch einwandfreien Zustand halten muss, um eine Störung der Ortsentwässerung zu vermeiden, lassen geringfügige Undichtigkeiten eines Regenwasseranschlusskanals nicht sogleich den Schluss auf dessen Erneuerungsbedürftigkeit zu, heißt es in dem Urteil.

Der Kläger, Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks, wandte sich gegen einen Bescheid der Stadt, mit dem er zur Erstattung von Kosten für die Herstellung von Grundstücksanschlüssen aufgefordert wurde, so das Gericht zum Sachverhalt. Die beklagte Stadt plante, im Zuge einer Straßenerneuerung und einer Erneuerung der Hauptkanäle der Kanalisation auch die Grundstücksanschlüsse für Schmutz- und Regenwasser bei Bedarf zu sanieren.

Im September 2015 fand eine Kamerabefahrung von Regen- und Schmutzwasseranschlussleitung des klägerischen Grundstücks statt. In den Leitungsberichten zur Schmutzwasserleitung aus Steinzeug mit 150 mm Durchmesser und 6,20 m Länge ist von Lageabweichungen, Versätzen und Unterbögen sowie von Fremdwasserzulauf die Rede; bei der Regenwasserleitung aus Beton mit 150 mm Durchmesser und 8 m Länge von Muffenversätzen. Die Stadtwerke veranlassten eine Erneuerung der Leitungen durch ein Unternehmen. Im Juli 2020 setzte die Stadt  gegenüber dem Eigentümer für die Herstellung der Grundstücksanschlusskanäle einen Kostenerstattungsbetrag von 4.408 Euro fest.

Keine schadlose Beseitigung
des Schmutzwassers

Die dagegen gerichtete Klage ist nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover zum Teil begründet. Der angefochtene Kostenerstattungsbescheid sei rechtswidrig, soweit ein Kostenerstattungsbetrag von mehr als 1.906,95 Euro festgesetzt wurde. Ein Kostenerstattungsanspruch der Stadt sei im Hinblick auf die Erneuerung des Schmutzwasseranschlusskanals grundsätzlich gegeben. Beim Regenwasseranschlusskanal sei dagegen nicht von einer Erneuerungsbedürftigkeit auszugehen gewesen, so dass die Festsetzung einer Kostenerstattung schon deshalb rechtswidrig sei.

Im Hinblick auf den Schmutzwasseranschlusskanal liege es auf der Hand, dass keine schadlosen Schmutzwasserbeseitigung erfolge: Ausdringendes Schmutzwasser belaste Boden und Grundwasser, und eindringendes Fremdwasser belaste wegen des Anstiegs des Abwasservolumens die Kläranlage.

Lebensdauer bei Betonleitungen für Regenwasser nicht überschritten

Hinsichtlich des Regenwasseranschlusses ist die Festsetzung eines Kostenerstattungsbetrags dem Urteil zufolge dagegen grundsätzlich zu beanstanden. Die Stadt durfte nach Auffassung des Gerichts nicht von einer Erneuerungsbedürftigkeit des Regenwasseranschlusskanals ausgehen. Nach den Baufachlichen Richtlinien (BfR) Abwasser des Bundes liege die technische Lebensdauer bei Betonleitungen für Regenwasser bei 40 bis 60 Jahren, führt das Gericht aus. Diese Zeitspanne sei zum Zeitpunkt der Feststellung der Sanierungsbedürftigkeit im Jahr 2015 noch nicht überschritten gewesen. Die Stadt vermute, dass eine Trennkanalisation erstmalig in den Jahren zwischen 1956 und 1969 eingeführt wurde, und der Kläger gehe von einer Erneuerung der Straße mit den Kanälen im Jahr 1970 aus.

Nicht völlig dichte, ansonsten aber weitgehend intakte Leitung

Die Videoaufnahme zeige das Bild einer wohl nicht völlig dichten, ansonsten aber weitgehend intakten Leitung. Das hier in absehbarer Zeit von einer Funktionseinschränkung ausgegangen werden könne, die zu einer Störung der Ortsentwässerung führen würde, sei nicht anzunehmen. Die möglichen Undichtigkeiten zeigten sich ausschließlich an den „Nahtstellen“, an denen die einzelnen Betonrohre ineinandergreifen. So gelange unten im Rohr fließendes Wasser beim Übertritt zum nächsten Betonrohr nicht etwa in den Boden, sondern in das nächste Betonrohr.

Selbst bei starkem Regen dürfte
ausdringendes Niederschlagswasser eher schadlos versickern

Bei der Regenwasserableitung gehe es lediglich darum, unbelastetes Niederschlagswasser schadlos einer Vorflut außerhalb des Kanalnetzes und damit letztlich den natürlichen Fließgewässern zuzuleiten, heißt es in dem Urteil. Dass bei Undichtigkeiten einerseits Ausspülungen unter Fahrbahn und Gehweg drohen sollen und Sand in das Rohrsystem gelange, der anschließend herausgespült werden müsse, sei bei dem vorgefundenen Schadensbild nicht nachzuvollziehen. Selbst bei bordvoller Wasserführung infolge von starkem Regen dürfte ausdringendes Niederschlagswasser bei kleineren Leckagen an den Übergangsbereichen einzelner Rohre wohl eher schadlos versickern, als - wie von der Stadt befürchtet - den Gehweg oder die Fahrbahn unterspülen, so das Gericht.

Kein „hermetisch dichtes“ Regen-wasserkanalnetz zu gewährleisten

Dem Einwand der Stadt, es sei mit Blick auf den Hochwasserschutz nicht hinzunehmen, dass die hydraulischen Berechnungen für die Einleitung in die Vorflut unzutreffend sind, folgt das Gericht nicht. Es leuchte nicht ein, dass durch ein „hermetisch dichtes“ Regenwasserkanalnetz gewährleistet werden müsste, dass die errechneten Wassermengen auch tatsächlich ungeschmälert in der Vorflut ankommen. Treten unterwegs zur Vorflut durch Versickerungen aus Kleinstleckagen Verluste auf, gefährde dies die Funktionsfähigkeit der Ortsentwässerung nicht. Kleinere Undichtigkeiten bzw. Leckagen, die zu einer bei gesammelter Fortleitung von Niederschlagswasser an sich nicht gewollten Versickerung führen, seien vielmehr durchaus hinnehmbar, so das Gericht. Nicht umsonst sei eine wiederkehrende Dichtheitsprüfung für Grundleitungen und Schächte, in denen ausschließlich Niederschlagswasser abgeleitet wird, nach der maßgeblichen DIN 1986-30 gerade nicht vorgesehen.

Wasserrechtlich sei nach dem § 55 Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) die ortsnahe Versickerung von unbelastetem Niederschlagswasser mit dessen Einleitung in ein Gewässer rechtlich zumindest gleichwertig - auch dies spricht dem Urteil zufolge dagegen, es beim Aufspüren und Beheben von Undichtigkeiten in Regenwasserleitungen „zu übertreiben“. Das sei aber der Fall, wenn in wenig nachhaltiger Weise weitgehend intakte alte Betonrohrregenwasserleitungen entfernt und entsorgt würden, um sie durch aktuell gängige Polypropylenrohre zu ersetzen, heißt es in dem Urteil.

Letztlich habe das Gericht den Eindruck gewonnen, dass es bei der Sanierung auch der Regenwasseranschlusskanäle in erster Linie darum ging, alle Arbeiten an der Straße und an der gesamten Kanalisation „in einem Rutsch“ zu erledigen und die Kanalisation insgesamt den aktuellen technischen Richtlinien anpassen zu wollen. Das reiche für die Annahme der Erneuerungsbedürftigkeit eines Regenwasseranschlusskanals per se aber nicht aus, stellt das Gericht fest.                                                                  

Das Urteil des VG Hannover finden Sie hier: link.euwid.de/nkfsr

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