Einheitssätze für Straßenentwässerung in Hamburg sind rechtswidrig

VG Hamburg: Wegegesetz als satzungsvertretendes Gesetz nicht anwendbar

Die in Hamburg in der Einheitssätze-Verordnung bestimmten Einheitssätze für Straßenentwässerungseinrichtungen sind wegen Verstoßes gegen das Baugesetzbuch (BauGB) rechtswidrig und unanwendbar. Das hat das Verwaltungsgericht Hamburg in einem Beschluss festgestellt (Aktenzeichen: 6 133/24 vom 05.03.2024). Der entsprechenden Paragraphen des Vierundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Wegegesetzes (HWG) seien wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz rechtswidrig und als satzungsvertretendes Gesetz unanwendbar.

Die Ermittlung des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes für die erstmalige Herstellung von Erschließungsanlagen im Sinne des § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB könne gemäß § 46 HWG nie anhand der tatsächlich entstandenen Kosten erfolgen, und zwar auch dann nicht, wenn die Ermittlung dieses Erschließungsaufwandes nach den hierfür bestimmten Einheitssätzen unzulässig ist, führt das Gericht aus.

Aus der Entstehungsgeschichte von § 46 HWG könne nicht geschlossen werden, dass im Falle rechtswidriger Einheitssätze der beitragsfähige Erschließungsaufwand anhand der tatsächlich entstandenen Kosten ermittelt werden darf. Das BauGB regle – § 130 Abs. 1 Satz 1 – nicht, dass die Ermittlung des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes nach tatsächlich entstandenen Kosten den gesetzlichen Regelfall darstellt. Mit dem Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen Bescheide aus dem Dezember 2023 angeordnet, da ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide bestünden.

Bescheide werden sich im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen

Die Bescheide werden sich im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen, stellt das Gericht fest. Die §§ 2 und 1 Nr. 3 des Änderungsgesetzes seien unwirksam und unanwendbar. Die sachliche Beitragspflicht im Sinne des § 133 Abs. 2 BauGB sei nicht entstanden, weil die Antragsgegnerin die Höhe des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes gemäß § 46 HWG in der weiterhin maßgeblichen, vor dem Änderungsgesetz gültigen Fassung weder nach Einheitssätzen noch nach Effektivkosten ermitteln durfte. Sähe man das anders und ginge mit der Antragsgegnerin vom Vorliegen der Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht aus, wäre § 46 HWG in der Fassung des Änderungsgesetzes ebenfalls nicht anwendbar, so das Gericht.

Regelung wir dem Bestimmtheitsgebot nicht gerecht

§ 2 des Änderungsgesetzes regelt, dass die Änderungen in § 1 des Änderungsgesetzes – darunter in § 1 Nr. 3 die Neufassung von § 46 Abs. 2 HWG – für alle noch nicht abgeschlossenen Sachverhalte gelten. Diese Regelung wird dem Gericht zufolge dem bundesverfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht gerecht.

Das Bestimmtheitsgebot solle sicherstellen, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und dass die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle durchführen können, führt das Gericht aus. Zudem erlaubten es Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass die betroffenen Bürgerinnen und Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen könnten. Abgabebegründende Tatbestände müssten so bestimmt sein, dass der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Abgabe in gewissem Umfang vorausberechnen kann. Diesen Anforderungen genügt § 2 des Änderungsgesetzes nicht, so der Beschluss.

Die Behörde habe die Höhe des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes vorliegend für einen Teil der hergestellten Straßenentwässerungsleitungen nach Einheitssätzen ermittelt und im Übrigen nach den tatsächlich entstandenen Kosten, führt das Gericht aus. Dazu sei sie nach dem allein maßgeblichen Landesrecht nicht befugt gewesen. Die Einheitssätze für Entwässerungseinrichtungen seien rechtswidrig. Eine Ermittlung des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes nach § 128 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB nach den tatsächlich entstandenen Kosten sehe § 46 HWG in der hier anzuwendenden alten Fassung nicht vor.

Einheitssätze genügen bundesrechtlichen Vorgaben nicht

Dahinstehen könne, ob es sich bei der hergestellten Entwässerungsleitung, die von der Antragsgegnerin als „SEL I“ bezeichnet wurde und für die der beitragsfähige Erschließungsaufwand unter Heranziehung des Einheitssatzes für Regenwassersiele nach der Einheitssätze-Verordnung ermittelt wurde, um ein Regenwassersiel in diesem Sinne oder aber um einen Straßenablauf einschließlich Anschlussleitung handelt. Beide Einheitssätze genügten bundesrechtlichen Vorgaben nicht.

Nach tatsächlich entstandenen Kosten könne der beitragsfähige Erschließungsaufwand für die erstmalige Herstellung von Erschließungsanlagen nach dem BauGB nicht ermittelt werden, weil § 46 HWG alter Fassung dies nicht vorsieht und abschließend ist, so das Gericht.

Beschränkung auf Effektivkosten nicht nachvollziehbar

Schließlich könne auch das Argument, die sachliche Beitragspflicht entstehe bei Unanwendbarkeit von Einheitssätzen nach den Effektivkosten, weil die Gemeinde nach § 127 Abs. 1 BauGB zur Beitragserhebung verpflichtet sei, nicht überzeugen. Denn selbst wenn sich die Einheitssätze als unanwendbar erweisen, bedeute dies nicht, dass eine Abrechnung nach Einheitssätzen ausgeschlossen ist und eine Abrechnung nach Effektivkosten die einzige Möglichkeit verbliebe, der Kostenerhebungspflicht nachzukommen. Das Bundesverwaltungsgericht gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass unwirksame Beitragssatzungen nach Bundesrecht rückwirkend in Kraft gesetzt werden können. Die Gemeinde habe also, auch nachdem sich Einheitssätze als unanwendbar erwiesen haben, die von § 130 Abs. 1 Satz 1 BauGB eröffnete Wahl, die Erschließungsanlage bzw. Abschnitte davon nach tatsächlichen Kosten oder über rückwirkend in Kraft gesetzte Einheitssätze abzurechnen. Warum die Gemeinde dabei auf eine Abrechnung nach Effektivkosten beschränkt sein sollte, sei nicht nachvollziehbar.

Den Streitwert hat das Gericht auf 1.717,49 Euro festgesetzt.

Den Beschluss des VG Hamburg finden Sie hier: link.euwid.de/498e8

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