Abwasserrichtlinie: EU-Umweltrat für erweiterte Herstellerverantwortung

Verlängerte Fristen finden Zustimmung seitens VKU und BDEW

Der Rat der Umweltminister der Europäischen Union hat sich zum Prinzip der erweiterten Herstellerverantwortung (ERP) für die vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen ausgesprochen. Das ist Bestandteil der Einigung über den Vorschlag zur Überarbeitung der Kommunalabwasserrichtlinie, die die Umweltminister gestern erzielt haben. Zur Deckung der durch die vierte Reinigungsstufe entstehenden zusätzlichen Kosten und im Einklang mit dem Verursacherprinzip müssten die Hersteller von Arzneimitteln und Kosmetika, die zu einer Verschmutzung des kommunalen Abwassers durch Mikroverunreinigungen führen, im Rahmen eines Systems der erweiterten Herstellerverantwortung einen Beitrag zu den Kosten dieser zusätzlichen Behandlung leisten, heißt es in der Stellungnahme des Rates.  

Nach dem Standpunkt des Rates soll die EPR für jedes Produkt gelten, das in einem beliebigen Land und auf beliebige Weise auf den Markt gebracht wird. Die vierte Reinigungsstufe zur Entfernung eines breiten Spektrums von Mikroverunreinigungen soll für Kläranlagen ab 200.000 Einwohnern bis 2045 verbindlich vorgeschrieben werden, mit Zwischenzielen in den Jahren 2035 und 2040. In kleineren Ortschaften werde dies auf Basis einer Risikoabschätzung erfolgen.

Seitens der Wasserwirtschaft ist diese Positionierung des Rates auf Zustimmung gestoßen. So begrüßt es der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), dass sich die EU-Umweltminister dem Kommissionsvorschlag für eine 100-prozentige Kostenübernahme durch die Hersteller angeschlossen haben und über die Position des EU-Parlaments hinausgehen, das eine Kostenbeteiligung von 80 Prozent vorgeschlagen hatte, während die restlichen 20 Prozent die Mitgliedstaaten aus eigener Tasche tragen sollten.

Martin Weyand, BDEW-Hauptgeschäftsführer Wasser/Abwasser, sagte, die Position der EU-Mitgliedstaaten stimme in vielen Bereichen mit der der Wasserwirtschaft überein. Besonders erfreulich sei es, dass die EU-Mitgliedsstaaten ihre uneingeschränkte Unterstützung für die vollumfängliche Einführung der Herstellerverantwortung zur Übernahme der Kosten der vierten Reinigungsstufe zugesagt hätten. Mit der Einführung der Herstellerverantwortung könne das Verursacherprinzip endlich angemessen umgesetzt werden; Schadstoffe würden bereits an der Quelle minimiert.

Lemke: Genaue Ausgestaltung
der Herstellerverantwortung wird
in weiteren Verhandlungen diskutiert

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) erklärte, die Beteiligung der Arzneimittel- und Kosmetikahersteller an den Kosten der Einführung der vierten Reinigungsstufe und damit an der Beseitigung dieser Stoffe sei aus deutscher Sicht grundsätzlich zu begrüßen. Die genaue Ausgestaltung dieser Herstellerverantwortung, vor allem der Umfang der Finanzierungspflicht und der Kreis der einzubeziehenden Branchen, würden in den weiteren Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament und der Kommission diskutiert. Die Positionierung des Umweltrats bilde die Grundlage für weitere Verhandlungen mit der Europäischen Kommission und dem Europäischem Parlament. Diese Trilogverhandlungen sollen Anfang 2024 abgeschlossen und die Richtlinie soll im Frühjahr 2024 verabschiedet werden. Lemke verwies darauf, dass der Ansatz, über die erweiterte Herstellerverantwortung die verantwortlichen Branchen zu erfassen, in Deutschland bereits in der im März 2023 vom Kabinett beschlossenen Nationalen Wasserstrategie aufgegriffen wird.

Anwendungsbereich auf Gemeinden ab 1.250 EW ausgedehnt

Der Standpunkt des Rates schafft nach dessen Angaben ein Gleichgewicht zwischen der Beibehaltung des Hauptziels der vorgeschlagenen Überarbeitung, die Sammlung und Behandlung von kommunalem Abwasser zu verbessern, und der Schaffung von Flexibilität für die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Grundsätzlich werden dem Rat zufolge, wie von der Kommission vorgeschlagen, die Ziele der Richtlinie über den Umweltschutz hinaus auf den Schutz der menschlichen Gesundheit und die Verringerung der Treibhausgasemissionen (THG) erweitert.

Um der Verschmutzung durch kleine Gemeinden entgegenzuwirken, hat der Rat den Anwendungsbereich der Richtlinie auf alle Gemeinden mit 1.250 Einwohnerwerten (EW) und mehr ausgedehnt, im Gegensatz zu den 2.000 EW der derzeitigen Richtlinie. Dementsprechend sollte die Verpflichtung zur Einrichtung von Kanalisationssystemen für kommunales Abwasser auf alle Gemeinden mit 1.250 EW oder mehr ausgedehnt werden.

Fristverlängerung von 2030 auf 2035

Außerdem will der Rat die Frist für die Erfüllung dieser Verpflichtung von 2030 auf 2035 verschieben, wobei für kleinere Gemeinden und die Mitgliedstaaten, die der EU erst kürzlich beigetreten sind, einige Ausnahmeregelungen gelten sollen. Für Mitgliedstaaten, die der EU nach 2004 oder 2006 beigetreten sind, kann die Frist für die Einhaltung der Richtlinie um acht bzw. zwölf Jahre verlängert werden, da sie bereits in jüngerer Zeit erhebliche Investitionen zur Umsetzung der Richtlinie tätigen mussten. Wenn die Einrichtung eines Sammelsystems nicht gerechtfertigt, durchführbar oder kosteneffizient ist, können die Mitgliedstaaten individuelle Systeme zur Sammlung und Behandlung von kommunalem Abwasser einsetzen.

Bewirtschaftungspläne bis 2035

Der Umweltrat sieht vor, dass die Mitgliedstaaten bis 2035 einen integrierten Plan für die Bewirtschaftung von kommunalem Abwasser für Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnerwerten und bis 2040 für Gemeinden mit 10.000 bis 100.000 Einwohnerwerten erstellen müssen. Diese integrierten Bewirtschaftungspläne sollen mindestens alle sechs Jahre überprüft werden.

Auch die Verpflichtung zur Zweitbehandlung, d.h. zur Entfernung biologisch abbaubarer organischer Stoffe hat der Rat bis 2035 auf alle Gemeinden mit 1.250 EW oder mehr ausgedehnt. Ausnahmeregelungen sollen auch hier für kleinere Gemeinden und für Mitgliedstaaten gelten, die der EU erst kürzlich beigetreten sind.

Entfernung von Stickstoff und
Phosphor in Anlagen mit mehr als 150.000 EW ab 2045

Bis 2045 müssen die Mitgliedstaaten die Anwendung der Drittbehandlung, d.h. die Entfernung von Stickstoff und Phosphor, in größeren Anlagen mit mehr als 150.000 EW sicherstellen. Die Drittbehandlung werde in kleineren Gemeinden in eutrophierungsgefährdeten Gebieten obligatorisch sein. Die Mitgliedstaaten sprechen sich für eine Ausnahmeregelung für die Wiederverwendung von behandeltem kommunalem Abwasser zur Bewässerung in der Landwirtschaft aus, wenn dies keine Risiken für die Umwelt und die Gesundheit mit sich bringt.

Energieneutralität bis 2045, Energie
zu 30 % aus externen Quellen

Die Mitgliedstaaten sind sich dem Standpunkt zufolge darüber einig, dass der Sektor der kommunalen Abwasserbehandlung eine wichtige Rolle bei der erheblichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen spielen und der EU helfen könnte, ihr Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Kommunale Kläranlagen sollten bis 2045 die Energie erzeugen müssen, die sie verbrauchen, wobei es Zwischenziele geben soll. Diese Energie kann dem Umweltrat zufolge vor Ort oder außerhalb des Standorts erzeugt werden, und bis zu 30 Prozent der Energie kann von externen Quellen bezogen werden.

Der VKU hat es begrüßt, dass entgegen den Vorschlägen der EU-Kommission, dass Abwasserbetriebe ihren Energiebedarf zukünftig weitestgehend selbst als erneuerbare Energien erzeugen müssen, die Umweltminister dem EU-Parlament mit einem pragmatischeren Ansatz folgen. „Energieeffizienz und Klimaschutz sind schon heute für die kommunale Abwasserwirtschaft ein sehr wichtiges Thema, in dem sie sich engagieren. Allerdings ist es bei vielen Betrieben aufgrund der begrenzten Flächen und Anlagentechnik schlichtweg nicht möglich, Energie vollständig energieneutral selbst erzeugen“, sagte VKU-Vizepräsident Karsten Specht. „Deswegen ist es richtig, so wie es der Ministerrat jetzt vorschlägt, erneuerbare Energieanlagen auch abseits des Betriebsgeländes errichten oder erneuerbare Energien zukaufen zu können.“

Auch nach Auffassung des BDEW ist die Forderung der Umweltminister nach Verlängerungen der Fristen für verschiedenen Maßnahmen, wie beispielsweise der Einführung der vierten Reinigungsstufe sowie der Energieneutralität, zu begrüßen. „Dies spiegelt die Realität der Branche wider und wird zur erfolgreichen Umsetzung der Richtlinie beitragen“, sagte Weyand.

Abwasserüberwachung
und Risikobewertung

Darüber hinaus verpflichten die geplanten neuen Vorschriften die Mitgliedstaaten zur Überwachung von Gesundheitsparametern in kommunalen Abwässern, etwa im Hinblick auf die Krankheitserreger Coronavirus, Poliovirus und Influenzavirus. Zudem sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu bewerten, die von kommunalen Abwassereinleitungen ausgehen, und gegebenenfalls über die in der Richtlinie festgelegten Mindestanforderungen hinaus zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Risiken zu begegnen.     

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