„Bisherige Belastung mit Reststoffen können wir uns im Klimawandel nicht mehr leisten“

Wie kann ein erneutes Massenfischsterben verhindert werden?

Die Bedingungen für die Brackwasseralge Prymnesium parvum, deren Vermehrung das Massenfischsterben im Sommer 2022 Erkenntnissen zufolge ausgelöst hat, sind aktuell nicht optimal. Durch die Niederschläge der vergangenen Wochen hat der Grenzfluss einen hohen Wasserstand. Der Salzgehalt in der Oder ist deshalb aktuell niedrig, wie es vom Brandenburger Umweltministerium heißt. Doch ein nächster Sommer mit hohen Temperaturen und viel Sonne, Niedrigwasser und hohem Salzgehalt könnte wieder gute Voraussetzungen für die Massenvermehrung der Brackwasseralge in der Oder bieten, sagen Forscher wie Martin Pusch vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).

„Die Alge ist im Ökosystem etabliert, sie kann sehr viel und wartet nur auf ihre Chance“, warnt Pusch. Die äußeren Umstände, die die Algenblüte begünstigten, seien nicht verschwunden. Und nicht nur die Wetterbedingungen spielten eine Rolle - ob Bergbau, Oder-Ausbau oder Salz-Einleitungen: Auf deutscher und polnischer Seite muss nach übereinstimmender Auffassung von Wissenschaft und Politik einiges geändert werden.

Was haben die Wissenschaftler über die Brackwasseralge gelernt?

Die aus Dänemark nach Deutschland gekommene Alge Prymnesium parvum, auch als Goldalge bekannt, werde im Fluss auch weiter nachgewiesen, erklärt der Gewässerökologe. Allerdings nicht in so hoher Dichte wie im August 2022, als Millionen Fische durch das Gift der Alge verendeten. Inzwischen wissen die Forscher: Die Alge braucht für eine gute Entwicklung nicht zwingend sommerliche Temperaturen. Sie ernährt sich nicht nur durch Fotosynthese, sondern auch von kleineren Lebewesen und tötet mit ihrem Gift selbst große Fische. „Außerdem hat Prymnesium eine große genetische Variabilität“, so Pusch.

Alge auch in anderen Gewässern nachgewiesen  

Auch in anderen Gewässern in Brandenburg wie der Havel oder dem Oder-Spree-Kanal wurde die Brackwasseralge dem Forscher zufolge bereits nachgewiesen. Neu sei damit die Erkenntnis, dass Prymnesium auch bei niedriger Salzbelastung in geringen Dichten überleben könne, sagt Pusch. Zusätzlich werde die Alge durch das Aufstauen von Gewässern gefördert, weil sich dort die Strömungsgeschwindigkeit verringere. Alle deutschen Flüsse seien mehrfach aufgestaut, gibt er zu bedenken - mit Ausnahme der Elbe, die allerdings im tschechischen Oberlauf 24-mal gestaut werde.

Kläranlagen müssen Abwasser noch besser reinigen  

Der Gewässerökologe erklärt die Etablierung der Brackwasseralge mit dem hohen Salzgehalt der Abwässer, die eingeleitet werden - insbesondere auf polnischer Seite. Eine hohe Konzentration von Salz und Nährstoffen begünstigten die Vermehrung von Prymnesium. Weitere Reinigungsstufen in den Kläranlagen seien deshalb notwendig. Zudem müsse es für die Landwirtschaft gezielte Auflagen zum Gewässerschutz geben. Phosphor und Stickstoff etwa stammten überwiegend aus dem Agrarsektor. 

„Die bisherige Belastung mit Reststoffen, die wir den Gewässern zugemutet haben, können wir uns im Klimawandel nicht mehr leisten“, mahnt Pusch. Neben der Verringerung der Salzeinleitungen, besserer Abwasserklärtechnik und der Schaffung landwirtschaftlich nicht genutzter Pufferstreifen an Flussufern nennt der Wissenschaftler den Abbau von Wehren in Zuflüssen - ein Refugium für Fische - als weitere Gegenmaßnahmen.

Risiko für Algenmehrung in Brandenburg wächst mit dem Ende der Kohle

Allerdings entstehe mit dem Ende der Braunkohleförderung in der Lausitz eine neue Herausforderung für Brandenburg. Laut einer Studie des Umweltbundesamts (UBA) könnte in Berlin und Brandenburg Wasser empfindlich knapp werden, falls nicht gegengesteuert werde. Denn wegen des Bergbaus wurde der Wasserabfluss in der Spree über gut ein Jahrhundert künstlich verstärkt. Gut die Hälfte des Wassers, das der Fluss heute bei Cottbus führt, stammt aus abgepumptem Grundwasser. In heißen Sommern steigt der Anteil laut Studie auf 75 Prozent. Bei Wasserknappheit können eingeleitete Reststoffe damit nicht genügend verdünnt werden - eine Steilvorlage für die Algenvermehrung, sagt Pusch. 

Deshalb soll laut Umweltministerium mit Beginn der Vegetationszeit ein seit Juli 2023 etabliertes Warnsystem, das täglich Warnstufen ermittelt, wieder in Betrieb genommen werden. Es basiert auf gewässerchemischen Daten der automatischen Messstation Frankfurt/Oder.

Zusammenarbeit mit Polen soll besser werden

Für den Schutz des Ökosystems der Oder sehen die Wissenschaftler des IGB, Fischer und die Politik in der besseren Zusammenarbeit mit Polen einen Schlüssel. Während des Fischsterbens im Jahr 2022 standen die polnischen Behörden wegen der mangelnden Kommunikation in der Kritik. Es gab Verstimmungen zwischen Deutschland und Polen. Inzwischen stellt das polnische Umweltministerium eine Vielzahl von Daten und Berichten online zur Verfügung. Ein Netz aus Probestellen sei eingerichtet worden, berichtet der Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes, Lars Dettmann. Ebenso wie der IGB spricht er von guten Aussichten für eine Erholung des Fischbestands, der durch die Umweltkatastrophe im Fluss halbiert wurde.

Bund setzt Hoffnungen in neue polnische Regierung

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) drängt Polen zur Reduzierung des hohen Salzgehalts in der Oder, der wahrscheinlich aus dem polnischen Bergbau stamme. Mit der neuen Regierung hofft sie auf bessere Verständigung. „Auch in Bezug auf die Oder hoffen wir auf eine gute vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der neuen Regierung in Polen“, sagt Lemke jetzt. IGB-Forscher Pusch schätzt ein: "Die Zeichen stehen auf Grün für eine verbesserte Zusammenarbeit." Auf polnischer Seite ändere sich vieles seit der neuen Regierung, etwa Neubesetzungen auf Leitungsebene. 

Ausbau der Oder noch Streitpunkt?

Eine Einigung im Streit um den Oderausbau steht noch aus. In der Vergangenheit hatte er das deutsch-polnische Klima vergiftet. Für eine Regeneration des Flusses wendet sich Lemke klar gegen eine weitere Belastung des Ökosystems durch den Ausbau. Die polnische Vorgängerregierung hatte den Oderausbau noch vorangetrieben – trotz anderslautender Urteile polnischer Gerichte. Sie hatte sich auch auf ein entsprechendes deutsch-polnischen Regierungsabkommen von 2015 berufen. Lemke ist für eine Neubewertung des Abkommens, das den Buhnenausbau regelt und auch den Hochwasserschutz betrifft. (dpa)    

 

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